Das Familiengebet
Zum Gebet werden wir nicht nur gleichsam von außen her „durch heilbringende Anordnung gemahnt und durch göttliche Belehrung
angeleitet“, sondern auch unser eigenes Innere spürt die Notwendigkeit und drängt uns, betend mit Gott in Verbindung zu bleiben. Wir
ehren ihn als unseren Ursprung und unser Ziel und erbitten von ihm her zugleich die Gnade, das im Glauben erkannte Ziel tatsächlich zu
erreichen. Im betenden Blick auf Gott findet der Mensch Licht und Kraft.
Was für jeden Menschen einzeln gilt, das gilt auch für die Gemeinschaft von Menschen und insbesondere für die Familie. Was ‚Familie‘ ist
und in welchem Sinne es ‚Familie‘ zu verwirklichen gilt, ist von Gott zu erfragen und von ihm her zu erbeten, in dessen liebendem
Ratschluss die Familie ihren Ursprung hat. Damit die ewige Liebe von Vater und Sohn, aus welcher als dritte göttliche Person der Heilige
Geist hervorgeht, bei den Menschen ein wunderbares Abbild finde, sollen Mann und Frau – in Liebe verbündet – Vater und Mutter werden,
indem ihre Liebe fruchtbar wird im Kind. Ein Abbild der ewigen Liebe im dreieinigen Gott zu sein, dazu sind die Eheleute nicht nur
gerufen, sondern durch das Ehesakrament auch befähigt. Nur bleibt die im Sakrament erworbene ‚Gnadengarantie‘ ein im Acker
verborgener Schatz, wenn die Eheleute ihn nicht heben und ihn nicht in Anspruch nehmen, indem sie betend die Beziehung zu Gott pflegen.
Betend bereiten junge Menschen sich darauf vor, füreinander Mann und Frau zu werden, und betend erfragen sie bei Gott, wie er Mann und
Frau gedacht hat. Und indem sie sprechen: „Dein Wille geschehe!“ anerkennen sie den Heilsplan Gottes als Maßstab für ihr Leben.
„Hilf mir, ein guter Mensch zu sein! Hilf mir, ein guter Mann zu sein! Hilf mir, meiner Frau und meinen Kindern gerecht zu
werden!“, so lautet das Gebet eines Mannes, den Jesus selbst seligpreist, weil ihn „hungert und dürstet nach Gerechtigkeit“.
Indem Eheleute miteinander beten, üben sie Grundlegendes für ihr Familienglück: Während sie äußerlich ihre Hände falten und
gemeinsam auf das Kreuz schauen, richten sie sich innerlich auf Gott hin aus. Gerade so finden sie, bei aller sich ergänzenden
Verschiedenheit ihrer Persönlichkeiten zu tiefer innerer Einheit, denn wahre Einheit bedeutet: gemeinsam in eine Richtung schauen,
auf ein Ziel hin leben, den Gleichklang der Herzen bewahren und sich in Eintracht der Gesinnung den Herausforderungen des Lebens
stellen.
Sie werden aber nicht nur miteinander sondern auch füreinander beten. Betend bleiben sie vor Gott auf ihr gegenseitiges
Wohl bedacht, und das vom Gebet getragene Wohlwollen erhebt sie über all die kleinen Reibungen des Alltags, in denen sich auch ein noch
so harmonisches Ehepaar tagtäglich Gelegenheit zur Übung der Tugenden gibt, wie beispielsweise zur Geduld, zu gegenseitiger
Rücksichtnahme und zu dem für wahre Liebe überlebensnotwendigen Zurücknehmen des eigenen Ich. Wenn es im alltäglichen Ringen aber doch
einmal etwas zu bereuen oder zu vergeben gibt, wird einerseits das betende Auge von Gott her den ‚Blick der Barmherzigkeit‘
lernen, während zugleich das betende Herz eine große Sensibilität und Bereitschaft dafür entwickelt, jedes begangene Unrecht sehr
schnell zu erkennen, aufrichtige Reue zu empfinden und auf baldige Wiedergutmachung zu sinnen. Sogar in ernsten Krisen müssen gläubige
Menschen nicht verzagen, denn ein Neuanfang ist immer möglich, sofern sie nicht verbittern und kapitulieren, sondern - ergänzend zum
eigenen Bemühen, wieder in positive Beziehung zueinander zu treten - im vertrauensvollem Gebet füreinander jene Gnaden erflehen, durch
welche die göttliche Allmacht Wunden zu heilen und entzweite Herzen einander zuzuwenden vermag.
Wird dann eine gebetsgeübte Ehe mit Kindern gesegnet, so sind diese Kinder glücklich zu nennen. Vater und Mutter präsentieren ihnen, wie
Väter und Mütter lieben. Im Blick auf Vater und Mutter lernt das Kind lieben und findet in dieser Erfahrung wie von selbst eine Brücke
zum Vater im Himmel. Das eigentliche Familiengebet ermöglicht den Eltern – auf geschützte Weise, in der Geborgenheit des eigenen Heims –
so viel Liebe in die täglichen Gebetsübungen hineinzulegen, dass dem Kind in der beglückenden Nähe der im Gebet geeinten Eltern die
liebende Nähe des himmlischen Vaters geradezu handgreiflich erfahrbar wird.
Die Einführung ins Gebet beginnt schon in sehr früher Kindheit, ja sogar schon vor der Geburt, denn das innige Gebet der Eltern in der
Zeit der Erwartung und die Art und Weise, wie gläubige Mütter die Mühen der Schwangerschaft tragen, hat ganz gewiss eine Wirkung auf das
kleine Menschenkind in ihrem Schoß. Ist es dann glücklich geboren, wird es mit dem ersten Kuss der Mutter auch ihren ersten Segen
empfangen, und die Eltern falten täglich die kleinen Hände in ihren Händen, um herzliche Segensworte über ihr Kind zu sprechen.
So, wie die Eltern auf kluge Weise darauf hinwirken, die täglichen Mahlzeiten wie auch die Rhythmen von Arbeit und Erholung in eine gute
Ordnung zu bringen, so soll auch das Gebetsleben fester Bestandteil der Familienkultur sein und für Groß und Klein zur lieben Gewohnheit
werden. Freilich sind in all diesen Bereichen Klugheit und Maß gefordert. Von besonderer Bedeutung bleiben ein ganzes Leben lang das
Morgen- und Abendgebet, welches mit Kindern durchaus die Form eines kleinen Familienrituals annehmen sollte. Darüber hinaus streben wir
das an, was die Mutter Kirche ihren Kindern zur täglichen Übung anempfiehlt, wozu selbstverständlich das Tischgebet gehört. Gerade auch
der dreimalige ‚Angelus‘ (in der österlichen Zeit freilich das ‚Regina coeli‘) gibt jedem einzelnen Tag eine feste Struktur, die immer
wieder in die Gegenwart Gottes zurückruft. Wenn es außerdem gelingt, den Rosenkranz (möglichst zu einer bestimmten Tageszeit,
beispielsweise um 18.00 Uhr) im Tagesablauf zu verankern, kann dies großen Segen bringen.
Unter den Wochentagen nimmt der Sonntag den ersten Platz ein, und es ist gut katholisch, dass er neben seinem Charakter als ‚Tag des
Herrn‘ durch den selbstverständlichen Besuch der heiligen Messe auch in Tat und Wahrheit ein ‚Tag der Familie‘ ist. Sehr reizvoll ist es
schließlich, mit Kindern im Kirchenjahr zu leben. Gewöhnlich liegt es den Müttern, die besondere Eigenart der kirchlichen Festtage und
-zeiten (wie Advent, Weihnachten oder Fastenzeit) zu erspüren und ihre Talente dahingehend zu entfalten, – der jeweiligen Zeit
entsprechend – die Herzen der ganzen Familie für Gott zu erwärmen.